Das Erste, was ein neuer Erdenbürger instinktiv lernen will, ist Gehen.
Das Erste, was er wieder verlernt, ist Gehen.
Schuhe zu tragen ist für uns in der westlichen Gesellschaft selbstverständlich und normal. Unsere Füße sind mit ein paar kleinen Ausnahmen, wie beim Duschen oder im Urlaub am Strand, fast immer gut eingepackt.
Das wird einem vor allem dann bewusst, wenn man mal barfuß in der Stadt unterwegs ist: Die Blicke reichen über ein Spektrum von Ungläubigkeit über Mitleid bis hin zu Empörung. Anscheinend ein echtes Tabu. Kein Wunder, denn schon im Kleinkindalter bekommen wir die ersten Schuhe. Sie sollen verschiedene Funktionen erfüllen. Auch solche, von denen man vor hunderten von Jahren nicht mal wusste, dass man sie braucht. Sie sind vor allem aber auch eins: ein modisches Accessoire. Also ein Mittel, sich als Individuum von Artgenossen zu unterscheiden und sich von Ihnen abzuheben. Keine Schuhe zu haben ist sogar eher ein Symbol für bittere Armut.
Abgesehen von den zwei Funktionen, die einen Schuh prinzipiell sinnvoll machen, nämlich Schutz vor Kälte und vor Schnittverletzungen, haben Schuhe für uns vor allem eine kulturelle Funktion (Mode und Status).
Die Schuhindustrie und leider auch viele Ärzte haben zudem ein Grundverständnis geschaffen, dass unsere Füße anscheinend von Geburt an fehlerhaft seien und besonderer Unterstützung, Federung und Polsterung bedürfen, damit wir auch gut laufen können. Wer hat nicht schon einmal von einem Orthopäden einen Senk-, Spreiz- oder Plattfuß diagnostiziert bekommen? Und das schon in frühen Jahren.
Hätte die Evolution tatsächlich ausgerechnet bei unseren Füßen versagt und der Mensch wäre nicht ohne Schuhe und Einlagen in der Lage gewesen zu gehen, er wäre nie eine so erfolgreiche Spezies geworden und hätte sich erst recht nicht auf der gesamten Welt verbreiten können.
Verängstigte Kunden und Patienten schnüren also heute unter ihren diagnostizierten Senk-Spreizfuß brav den extra unterstützenden Schuh oder versuchen tapfer ihre unangenehmen Einlagen zu tragen. Was dann passiert ist mit einem Arm zu vergleichen, der nach einem Bruch in Gips gelegt wird. Er wir ruhig gestellt. Genauso liegen unsere Füße dann in unserem Schuh und werden kaum noch gefordert. In dieser Ruhelage werden Muskulatur, Knochen, Sehnen, Bänder und Faszien kaum noch benötigt und bilden sich entsprechend zurück. Der Fuß verliert sowohl seine ursprüngliche Form als auch seine Funktion.
Schuhe sollen somit nicht den Zweck erfüllen, den Fuß zu fordern und ihn zu trainieren, sondern ein bequemes Gefühl geben oder einfach nur gut aussehen.
Füße von Naturvölkern, die ihr leben lang barfuß laufen
Was ist an Schuhen denn so falsch?
Vorfuß-Verengung
Beinahe jeder Schuh läuft im Vorfußbereich schmal zu, wodurch die Zehen nach innen gedrückt werden. Dies entspricht aber nicht der natürlichen Fußform des Menschen. Wie man bei Naturvölkern, die in ihrem Leben noch keine Schuhe getragen haben und auch bei kleinen Kindern beobachten kann, haben ihre naturbelassenen Füße die Form eines „V“. Der breiteste Teil des Fußes ist der Zehenbereich. In der westlichen Welt hat sich das Bild unserer Füße komplett verändert. Für uns stellt eine Art „Sargform“ heute das normale Bild dar. Hervorgerufen ist diese Verformung allein durch das Tragen von Schuhwerk, das nicht der Ursprungsform entspricht.
Durch die sich nach vorne verjüngende Form unserer Schuhe werden die Zehen auf beiden Seiten nach innen gedrückt.

Die Verlegung der Zehen im Schuh
Vor allem für unseren großen Zeh ist dies fatal, denn er hat eine sehr wichtige Funktion als Anker und stabilisierendes Element für unsere gesamte Körperstatik und hat sogar Einfluss auf die Fehlbelastung unserer Knie, der Hüfte und des Rückens. Und als wäre das nicht genug, können sich daraus auch Spätfolgen wie Hallux Valgus, Neurome, Arthrosen und ähnliche bilden. Bei langer Belastung können auch Marschfrakturen (feine Brüche im Mittelfußknochen) im 2. oder 3. Strahl auftreten.
Dass es sich überhaupt um eine Verformung handelt, ist kaum Jemandem bewusst – so normal ist dieser Anblick geworden.
Wir verlieren den Boden unter uns
Bei Joggingschuhen und auch vielen schicken Damen- oder Herrenschuhen zeigt der vordere Teil nach oben. Die Zehen stehen vom Boden ab und verlieren ihren Bodenkontakt. Damit können sie ihre kontrollierende und stützende Arbeit nicht mehr verrichten. Sie werden nicht mehr bewegt und die Muskulatur der Zehen wird geschwächt, was infolge dessen dazu führt, dass wir auch barfuß keinen echten Bodenkontakt mehr über unsere Zehen haben. Auf einer Druckmessplatte sieht man bei westlichen Menschen meist keinen großen Zeh mehr, er ist dann funktionslos geworden.
Ohne aktive Zehen können wir aber nicht richtig stehen, gehen und laufen und belasten unsere Füße fehl.
Immer mit Absatz
Absätze gibt es fast unter jedem Schuh, manche sind deutlich zu erkennen, andere kaum sichtbar, aber dennoch vorhanden. Sie hebeln im wahrsten Sinne die natürliche biomechanische Funktion des gesamten Fortbewegungsapparates aus.
Die dauerhaft erhöhte Ferse führt zu einer Behinderung im Fußgelenk und schränkt dabei den Bewegungsradius ein. Über die Jahre verkürzt sich die Muskulatur des Fußes entsprechend, was das Gangbild beeinträchtigt bzw. eine gesunde Haltung verhindert.
Der Druck auf den tiefer liegenden Vorfuß wird erhöht und presst ihn in die enge Form des Schuhs, wodurch die Zehen nach hinten geschoben werden und sogenannte Hammerzehen entstehen können.Beginnt man ohne begleitendes Aufbautraining mit dem Barfußlaufen, sind oft Entzündungen der Achillessehne (Tendinitis) oder der Plantarsehne (Plantarfasziitis) die Folge.
Fußbett
Besonders gesund für unsere Füße soll ja ein gutes Fußbett sein. Unsere Knochen, Muskeln, Bänder, Gelenke und Faszien brauchen aber Belastung und Bewegung um in Funktion bleiben zu können. Bekommen sie diese nicht, gehen sie unter.
Vieles, was uns angenehm erscheint, weil es gepolstert und weich ist oder unterstützend wirkt, lässt unseren Körper in Wirklichkeit auf Dauer verkümmern. Wie eingegipst wird unser Fuß in einer festen, vordefinierten Position gehalten.
Die Muskulatur hält die Spannung in unserem einzigartigen architektonischen Meisterwerk nicht mehr alleine aufrecht und die Gewölbestruktur kollabiert. Es wirkt nicht mehr als Stoßfänger. Hinzukommen schwerwiegende Folgen: Plattfuß, Fersensporn, Entzündungen der Plantarsehne (Plantarfasziitis) und vieles mehr.
Fazit
Unsere Füße bilden das Fundament, auf dem wir stehen, gehen und laufen. Schon von klein auf wird ihnen aber die Chance genommen, sich natürlich zu entwickeln. Außer im Urlaub am Strand, gehen wir in Schuhen, die die ursprüngliche Funktion unserer Füße nicht adaptiert, sie verkümmern lassen und verformen. Neben den Deformierungen, die wir heute schon als ganz normale Form eines Fußes wahrnehmen, verlieren wir schon in frühen Kinderjahren die Fähigkeit, uns richtig und gesund zu bewegen. Wir leiden unter Rücken-, Nacken- und Kopfschmerzen und quälen uns mit Beschwerden in der Hüfte, dem Becken und den Füßen. Behandelt werden aber nur die Symptome und Stellen, an denen der Schmerz auftritt. So stärken wir oft unseren Rücken im Fitnessstudio, anstatt unsere Füße zu stärken und zu trainieren. Eher geben wir unseren Füßen bei Schmerzen noch mehr Unterstützung durch Einlagen. Das ist der kontraproduktive Weg.
Unser Fortbewegungsapparat fängt beim großen Zeh an. Wer sein Haus nicht auf ein ordentliches Fundament baut, wird nicht viel Freude an ihm haben. Das Verspachteln der Risse in Wänden bringt zwar kurzfristig ein gutes Ergebnis, wird sie aber, wenn sie auf einem schlechten Fundament stehen, nicht wieder ins Lot bringen.
Die Funktionalität unserer Füße verdient die höchste Aufmerksamkeit. Schuhwerk muss sich dem Fuß anpassen und nicht umgekehrt.
Quellen:
David A. Raichlen. The Laetoli footprints and early hominin locomotor kinematics. 2007
Kristiaan D’Août. The evolutionary history of the human foot. 2008
Dudley Joy Morton. Evolution of the Human Foot. 1922
Dudley Joy Morton. The Human Foot. 1920
Daniel E. Lieberman. The Story Of The Human Body. 2015