Laufen ist der mit Abstand beliebteste Freizeitsport der Deutschen. Insbesondere in den letzten Monaten der Pandemie und der Lockdowns treibt es immer mehr Menschen nach draussen. Die Fitnessstudios haben nicht geöffnet und soziale Aktivitäten mit anderen sind deutlich eingeschränkt, da kann einem schon mal die Decke auf den Kopf fallen und man fühlt sich in den eigenen vier Wänden eingesperrt.
Deshalb scheinen mir der Wald und die Parks voller denn je mit Spaziergängern, Walkern und eben auch Läufern.
Was ist wohl die Absicht der Läufer in dieser Zeit? Gewichtsabnahme oder -kontrolle? Vorbereitung auf einen Halbmarathon? Das Messen mit anderen?
Wenn ich in dieser Zeit in die Gesichter der Läufer schaue, dann nehme ich eine Veränderung war. Ich sehe häufiger Zufriedenheit und Gelassenheit bei den an mir entgegenkommenden Läufern. Das war mal anders.
Vor der Coronakrise war das Einander Grüßen verschwunden und man lief stoisch an mir vorbei. Auch ich selbst hatte die Lust verloren, Passanten zu grüßen, da dies in die Leere ging. Die meisten Läufer schienen mir sehr vertieft und nach vorne ausgerichtet und viel zu schnell. Ich selbst möglicherweise auch.
Heute findet die Begegnung schon deshalb statt, weil man einander Platz schaffen muss. Mindestabstand einhalten gelernt hat. Notgedrungen gehe ich in Kontakt und begegne meinen Gegenübern, während wir in Abstand ein Schlammloch umrunden.
Durchaus halte ich an und komme ins Gespräch.
Ich spüre, wie sehr ich diese Begegnungen geniesse und wie hungrig ich nach sozialer Interaktion bin. Der Wald scheint ein corona-freundlicher Ort zu werden. Eine „Läuferkirche“ in der ich in Kontakt treten darf und dennoch 4 m Abstand halten kann. Aufgrund der gigantischen Kulisse, wirkt das aber nicht befremdlich.
Was sich am meisten geändert zu haben scheint, ist die Absicht und der Grund warum Menschen nach draussen gehen. Ich schließe mal von mir auf andere. Ich gehe raus weil ich raus gehe, werde Teil von etwas Grösserem als den eigenen vier Wänden.
Wenn ich heute draußen laufe, geschieht dies weitestgehend absichtslos. Wie im ZEN.
ZEN im Laufen bedeutet nicht etwa, dass ich im Lotussitz schwebend durch den Wald fliege, es bedeutet vielmehr, dass ich eins werde mit dem was gerade geschieht. Ich laufe. Dann halte ich an. Ich begegne anderen. Dann laufe ich wieder.
ZEN beschreibt eine Strömung des Buddhismus und ist als CHAN in China entstanden und dann über Japan in den Westen gelangt. Es ist hierzulande auch ein Modebegriff abseits der „Religion“. Den Begriff findet man sowohl in Management Kreisen, als auch auf Anzeigetafeln von Restaurants. Powerpoint Präsentationen im reduzierten Stil, werden ZEN-Präsentationen genannt.
Eigentlich ist ZEN aber eine Lebensweise und Meditationspraxis. Eine Meditations-Religion.
Oft wird gesagt ZEN biete überhaupt „nichts“. Keine Geheimnisse, keine Antworten und keine Lehre.
ZEN-meister Ikkyū Sōjun zu einem Verzweifelten:
„Ich würde gerne etwas anbieten, um Dir zu helfen, aber im Zen haben wir überhaupt nichts.“ - Ikkyū Sōjun, 1394-1481
ZEN bedeutet das Leben zu leben. In vollen Zügen. Der unmittelbare Zugang zu diesem Einfachsten von allem sei dem Verstandeswesen Mensch jedoch verwehrt.
Zen ist der weglose Weg, das torlose Tor. Die Weisheit muss im Zen nicht gesucht werden, sie ist schon immer da, aber unser Verstand und unsere Bemühungen etwas zu Besonderes zu erreichen behindern uns daran das Einfache zu erkennen. Dass schon alles da ist.
Das Zen kann auf den Alltag übertragen werden und so entfaltet sich das Zen auf das ganze Leben. Zen ist dabei „nichts Aufregendes, sondern Konzentration auf die alltäglichen Verrichtungen.“ Shunryu Suzuki
Je mehr ich darüber schreibe, desto mehr entferne ich mich vom Kern des ZEN, da sich das ZEN ausserhalb der Worte und Beschreibungen aufhält.
Wenn ich im Sinne des ZEN laufe, dann laufe ich einfach. Oder es läuft mich. Der Weg wird zum Ziel und er entfaltet sich in jedem Augenblick unter meinen Füßen. Mit jedem Schritt.
Die Kulisse oder die Begegnungen stellen dabei kein Hindernis dar, denn sie gehören beim Laufen dazu. Ein Mensch läuft. Nicht mehr und nicht weniger!
Dann kann es passieren, dass einem beim Laufen statt des Nichts das ganze Universum offenbart wird. Was eigentlich keinen Unterschied macht. Im ZEN wird dieser Gegensatz gerne erzeugt.
Unser Körper ist zum Laufen gemacht. Das ZEN im Laufen lädt uns ALLE ein zu laufen. Weil es eine alltägliche, unaufgeregte Angelegenheit ist. Nichts wovor man grossen Respekt haben müsste, da es egal ist, ob man 5 m oder 5000 m läuft. Das ZEN erwartet nichts von Dir und so kannst Du Dich mit wachem Forschergeist dieser Bewegung des Laufens widmen, ohne Dich zu vergleichen oder zu urteilen.
Es scheint in der Zeit von Lockdowns und Homeoffices eine Chance zu liegen, das Laufen auch mal anders kennenzulernen. Dem Leistungsdruck einmal zu entkommen und sich einfach der Bewegung des Laufens ganz hinzugeben. Statt ergebnisorientiert zu laufen, einfach zu sein.
Nicht laufen, „um zu“....
PELLE